Es ist eine seltsame Faszination, die viele Deutschen für den Holocaust empfinden. Ich frage mich immer wieder, was sie eigentlich ausmacht. Ist es die jahrelange Schulbildung, in der es auch immer wieder um die Shoah ging? Sind es die nie endenden Wiederholungen der Guido Knopp-Sendungen über die Judenverfolgung? Oder ist es die Verwicklung der eigenen Familie in das Dritte Reich und seine Taten?
Ich glaube es ist die Faszination des Unbegreiflichen. Der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie Menschen zu solch brutalen Taten fähig sind. Und die Frage danach, wie solche ein mörderischer Hass entstehen kann.
Aber was es auch immer ist, ich bin immer wieder an den Gedenkorten der Shoah, in Auschwitz, Buchenwald, Sachsenhausen, Theresienstadt – schon weil ich mich immer schon für Geschichte und besonders für die der Juden, interessiert habe. Und so musste ich natürlich auch nach Yad Vashem, die israelische Gedenkstätte für den Holocaust anschauen.
Aufbau der Gedenkstätte Yad Vashem
Erhaben thronen die Sandstein-Gebäude von Yad Vashem auf dem Herzlberg in Jerusalem. Während ich die Allee der Gerechten unter den Völkern entlang laufe, fällt mir ein Vorteil auf, den Yad Vashem gegenüber anderen Holocaust-Gedenkstätten hat. Sie ist nicht ortsgebunden. Ja, sie ist mittlerweile das Sinnbild für Holocaust-Gedenkstätten. Aber sie hat keinen örtlichen Bezug als tatsächlicher Ort eines Lagers, wie Auschwitz oder Buchenwald. Deshalb hat man mit dem Herzlberg einen der schönsten Orte Jerusalems gewählt. Ein würdiger Rahmen für einen Gedenkort, wie ich finde. Um ihn herum sammeln sich gleich mehrere Gedenkstätten. Das für die Gefallenen des Warschauer Ghettos, für die ermordeten Kindern, die Deportierten.
Baum für Emilie und Oskar Schindler in der Allee der Gerechten unter den Völkern
Der berühmteste Judenhelfer der Geschichte ist seit dem Steven Spielberg-Film „Schindlers Liste“ wohl Oskar Schindler. Im Besitz der Gedenkstätte befindet sich eine Kopie der Liste (das Original ist in Krakau). Doch am bekanntesten ist wohl die letzte Szene des Films, die die Pflanzung des Baumes in der Allee der Gerechten unter den Völkern für Emilie und Oskar Schindler zeigt. Der Baum steht natürlich auch heute noch. Er ist gleich am Hinterausgang zum Haupteingangsgebäude mit den Garderoben, noch bevor man ins Holocaustmuseum geht rechts, kurz vor der Gedenkstätte für die ermordeten Kinder. Daneben sind ach andere berühmte Judenretter geehrt, wie der Schwede Raoul Wallenberg und der Japaner Chiune Sugihara.
Museum zur Geschichte des Holocausts
Die ältere Dame am Empfang meinte, ich würde lediglich drei Stunden für die gesamte Gedenkstätte brauchen, wenn ich langsam gehen würde. Knapp zwei Stunden schaue ich auf die Uhr und ich bin noch nicht einmal halb durch das Museum zur Geschichte des Holocausts durch. Die Ausstellung ist gut aufgebaut, fast chronologisch aber themenbezogen. Sogar der Antisemitismus des Mittelalters ist Thema. Doch am meisten beeindrucken mich die persönlichen Habseligkeiten der Opfer in der Ausstellung. An einer Wand sind Fotos ausgestellt, die die von Einsatzgruppen in Paneriai bei Vilnius ermordeten Juden bei sich hatten. Sie zeigen fröhliche Menschen, Menschen die spielen, die trinken, die Musik machen, sie zeigen Kinder, Großeltern, Onkel und Taten. Sie alle wurden erschossen, nur weil sie Juden waren. Zuvor hat man sie nackt ausgezogen und an den Rand eines Graben gestellt.
Auch die Geschichte der Ghettos wird gezeigt. In einem Video erzählt ein Mann, wie er im Ghetto von Lodz zu seiner Oma kommt. Die alte Dame ist zuvor gestorben. Statt zu weinen schaut er nach Essen und isst neben seiner toten Oma das letzte Brot. Ich muss mir die Tränen verkneifen. In Mizpe Ramon hat mir mein Gastgeber Noah zuvor berichtet, dass er früher Touren auch nach Yad Vashem organisiert hat. Irgendwann konnte er nicht mehr, weil er jedes Mal weinen musste. Ich verstehe ihn.
Gedenkstätte für die ermordeten Kinder
Weniger eindeutig und deswegen zumindest für meine Augen etwas erleichternd ist hingegen die Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Kinder. Was für einen Effekt Architektur und Installationen haben können, zeigt sich dort aber dennoch. Zunächst gehe ich einen langen Gang aus Sandstein hinunter. Eine Tür führt in einen dunklen runden Raum. Fast wie in einem Spiegelkabinett muss ich zunächst die Dunkelheit wirken lassen, bis ich mich orientieren kann. Aus Lautsprechern werden immer wieder Namen, das Alter und Orte gesprochen. Es sind die Namen der in der Shoah ermordeten Kinder. Durch den Gang komme ich in eine kleine Halle. In den Wänden sind schemenhaft Lichter zu erkennen. Die Namen schallen weiter. Mich überkommt ein Gefühl der Beklommenheit. Besonders die Altersangaben machen mich traurig. Kleinkinder werden genannt: Esther, 5 Jahre, Schlomo, 7 Jahre. Welche Barbaren töten kleine Kinder?
Halle der Namen in Yad Vashem
Die ganze Dimension des Holocausts soll Besuchern jedoch besonders in der Halle der Namen bewusst werden. Hier werden die Namen der Opfer des Holocausts in Form kleiner Karten mit den Namen und biographischen Daten der Opfer aufbewahrt. Bisher sind 2 Millionen Karten hier gelagert. Es ist Platz für insgesamt 6 Millionen Karten.
Der Zug ins Nichts – Mahnmal für die Deportierten
Ganz am Ende der Gedenkstätte halte ich doch noch einmal inne. Das wohl surrealste aber auch treffendste der Mahnmale erhebt sich über dem Hügel des Herzlberges. Das Denkmal für die Deportierten, die auf den langen Reisen von Ghetto und Lager zu Lager leiden und sterben mussten ist ein Viehwaggon. Der Waggon steht auf einer Brücke, doch diese endet. Der Waggon ist quasi auf dem Weg in den Abgrund, wie auch die Juden, die unter unmenschlichen Bedingungen und unter strenger Bewachung, ohne Essen und oft fast nackt in den Waggons transportiert wurden. Es ist erstaunlich wie sehr auch solche Sinnbilder einem die Grausamkeit dieses Verbrechens verdeutlichen können. Und so gehe auch ich wieder mit einem Kopf voller Gedanken in Richtung der Straßenbahn. Doch etwas wird mir klar, worauf man in Israel Wert legt. Das Ende der Welt, wie es der Holocaust für viele Menschen war, war auch der Anfang von etwas Neuem: des Staates Israel. Deshalb feiert man den Holocaust-Gedenktag auch am Tag des Beginns des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Nie wieder soll ein Jude einfach ermordet werden.
Hinweise für die Gedenkstätte Yad Vashem
Der Eintritt zur Gedenkstätte Yad Vashem selbst ist frei. Man kann im Eingangsgebäude seine Sachen in der Garderobe abgeben. Im Gebäude gibt es auch eine Cafeteria mit einem leckeren Salatbuffet. Es lohnt sich für ein paar Schekel eine Karte des Geländes zu kaufen, da die Gedenkstätte sehr verwinkelt ist und es unterwegs keine großen ausgehängten Karten gibt. Am Eingang kann man sich auch einen Audioguide ausleihen. Es werden auch Führungen angeboten. Mehr dazu auf der Webseite der Gedenkstätte Yad Vashem.
In der Gedenkstätte gibt es noch weitere Mahnmale, Lernzentren, eine Bibliothek und eine Synagoge.
Yad Vashem ist an Samstagen (Schabbat) und an jüdischen Feiertagen geschlossen.